Wenn die Temperaturen immer höher klettern wird es Zeit, die Schafe von ihrem Wintermantel zu befreien. Denn auch wenn Schafwolle eine Naturfaser ist, die sich vor allem durch ihre temperaturausgleichende Eigenschaft auszeichnet, wird es den Schafen zu warm, wenn das Fell zu lang ist. Sie müssen geschoren werden. Und was passiert dann mit der Wolle?


In Deutschland werden heute die meisten Schafe wegen ihres Fleisches gehalten, einige werden auch zur Landschaftspflege eingesetzt. Bei der Zucht ist die Wolle, die früher für die Menschen als Rohstoff für Textilien aller Art eine große Bedeutung hatte, immer mehr in den Hintergrund gerückt. Wollfasern wurden in der boomenden Textilindustrie zunehmend durch Baumwolle und synthetische Fasern verdrängt. Die meisten heimischen Textilfabriken, die Wolle verarbeiteten, mussten mit dem Wirtschaftswunder der 1960er Jahre schließen.
Gleichzeitig produzierten große Merinoschafherden in Australien und Neuseeland immer mehr feinere Wolle, die schnell zum internationalen Standard für die globale Textilindustrie wurde. Diese Wolle ist auf dem Weltmarkt entsprechend gefragt, denn sie ist der Rohstoff für die meisten Kleidungsstücke (insbesondere Pullover, Jacken, Socken) mit oder aus Wolle sowie für die Herstellung von Handarbeitsgarnen.
Nicht gefragt und daher mehr oder weniger wertlos ist die Wolle der meisten anderen Schafrassen. Selbst die deutsche Merinowolle, die aufgrund anderer Züchtung und schlechterer klimatischer Verhältnisse nicht so weich ist wie die australische oder neuseeländische Merinowolle, erzielt auf dem Markt aktuell nur einen Preis von ca. 50 Cent pro Kilogramm! Die Wolle anderer Rassen ist in der Regel noch weniger wert.


Eine kleine Schafherde zu halten, ist deshalb in der Regel wirtschaftlich wenig attraktiv und vor allem Liebhaberei. Dennoch tragen vor allem auch diese kleinen Herden dazu bei, die Vielfalt der Schafrassen aufrecht zu erhalten und alte, wenig „rentable“ Rassen vor dem Aussterben zu bewahren.
Hier kann eine Schafpatenschaft einen wertvollen Beitrag leisten, weil der „Pate“ durch die Übernahme der Patenschaft einen finanziellen Beitrag zum Unterhalt des Schafes leistet. Die Höhe dieses Beitrags wird zwischen Schafhalter und Pate für ein Jahr vereinbart. Er hängt unter anderem von den Haltungskosten, der Schafrasse und der Qualität des Woll-Vlieses ab und liegt meist zwischen 50 und 150 Euro pro Jahr. Denn am Ende eines Patenjahres bekommen die Paten nach der Schur das Vlies „ihres“ Schafes. Das ist vor allem für wollbegeisterte Spinner:innen sowie Filzer:innen eine tolle Sache. Wer kann schon – außer den Schafbesitzern selbst – sagen, dass er das Vlies „seines“ Schafes verarbeitet? Es ist eine große Motivation, daraus etwas ganz Persönliches und Besonderes zu schaffen. Das Projekt, das aus der Wolle entstehen soll, beeinflusst je nachdem auch die Wahl der Rasse und Färbung des Paten-Schafs. Aus dem weißen, glänzenden Vlies meines ersten Paten-Schafs, Elsa, habe ich zum Beispiel ein Fell gefilzt.


Fast alle Schafrassen – egal ob sie als Fleischlieferanten, Landschaftspfleger oder aus Liebhaberei gehalten werden – müssen mindestens einmal im Jahr geschoren werden. Der Ertrag aus der Wolle deckt jedoch noch nicht einmal die Kosten für die Schur, die körperlich sehr anstrengend ist und meist von erfahrenen Scherern durchgeführt wird.
Dass es für die geschorene Wolle oft gar keinen Markt gibt oder der Preis, der gezahlt wird, minimal ist, führt dazu, das die Wolle häufig einfach „entsorgt“ wird. Und das ist nicht weniger als ein Skandal, denn es handelt sich um ein wertvolles und nachhaltiges Naturprodukt, das auch über die Herstellung von Textilien hinaus sehr viele Einsatzmöglichkeiten hat. So kann Wolle z.B. auch als Isoliermaterial beim Hausbau genutzt oder im Garten als Mulch- und Düngematerial verwendet werden. Aus ganzen Wollvliesen lassen sich sogar „Felle“ filzen, die von einem echten Fell kaum zu unterscheiden sind (siehe Beitrag „Gefilztes Schaf-Fell„). Und für die zum Glück auch im deutschsprachigen Raum wachsende Community an Spinnerinnen und Spinnern bietet sie vielfältiges Ausgangsmaterial für kreative Eigenproduktion von Wolle zum Stricken, Häkeln und Weben oder für Gefilztes (wie z.B. gefilzte Taschen, Jacken oder Körbe). Je nach Endprodukt muss die Rohwolle allerdings erst gereinigt, gewaschen und kardiert werden. Das kann man zuhause selbst machen oder hat das Glück, eine der wenigen Wollkämmereien – wie zum Beispiel die Wollkämmerei Ahr-Eifel – in der Nähe zu haben, die diese Arbeit übernehmen.
Vor ein paar Jahren habe ich von Schaf-Patenschaften in den USA gelesen und war von der Idee sofort begeistert. Schafe waren schon seit meiner Kindheit meine Lieblingstiere und die Faszination für sie und ihre wunderbaren, kuscheligen Wollmäntel hat bis heute angehalten.
Ich habe mich dann in der Umgebung umgehört und die Adressen von mehreren privaten Schafhalter:innen bekommen. Auch wenn die Idee, eine Schaf-Patenschaft zu übernehmen, hier in den Umgebung noch nicht allen bekannt war, fiel sie doch auf fruchtbaren Boden.


Die Ausgestaltung der Patenschaft kann, wie oben beschrieben, variieren. Sie bezieht sich jedoch in der Regel auf ein bestimmtes Schaf mit einem Namen. Oft gibt es dazu eine Patenschafts-Urkunde mit einem Foto des Schafes. Manche Schafhalter:innen schicken auch während des Jahres Fotos an die Paten oder die Pat:innen kommen zwischendurch vorbei und schauen nach „ihrem“ Schaf. Ein besonderes Erlebnis ist es, wenn die Paten bei der Schur dabei sein können. Das Schaf ist, wenn es seinen dicken Pelzmantel abgelegt hat, kaum wiederzuerkennen. Das geschorene Vlies wird dann als Rohwolle an die Pat:innen übergeben.


Woll-Liebhaber:innen bekommen durch eine Patenschaft einen besonderen Bezug zu den vierbeinigen Woll-„Lieferanten“ und können den Weg vom Schaf zum fertigen gestrickten, gehäkelten, gewebten oder gefilzten Woll-Produkt nachvollziehen. Sein Schaf ein Jahr lang zu begleiten, schafft Bewusstsein für die Aufgaben, die mit der Schafhaltung verbunden sind, die Bedeutung solcher kleinen Herden für die Artenvielfalt der Schafe und deren Beitrag wiederum zur Biodiversität bei der Landschaftspflege.


Nachdem Elsa zwei Jahre lang mein Paten-Schaf war, habe ich mich für Anna mit dem dunkelbraunen, fast schwarzen Fell entschieden. Aus ihrem Vlies spinne ich Wolle, aus der ich zusammen mit der Wolle eines milchkaffeebraunen Schafes aus der gleichen Herde (Locke) gerade einen Diamantköper-Stoff auf dem 4-Schaft-Webstuhl webe (Beitrag zu dem Projekt folgt). Außerdem möchte ich damit einen robusten Stoff weben mit Leinen als Kettfaden, wie man ihn auf der Île de Ouessant früher hergestellt hat. Denn Elsa und Anna gehören zu einer kleinen Herde von Ouessant-Schafen.


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